Gesichter der jungen Wirtschaft: Markus Wasserle
- 21.10.2018
- AUTHOR: Eva Siegfried
Seiner Branche eilt ein schlechter Ruf voraus: Markus Wasserle ist Inhaber einer Reinigungsfirma. Doch der bayerische Unternehmer tut mehr für seine Mitarbeiter, als er müsste – viel mehr. Und die zahlen es ihm zurück.
Ich will, dass die Leute gerne in der Firma bleiben und nicht etwa, weil sie keine Alternative haben.
An den Termin bei seiner Hausbank erinnert sich Markus Wasserle noch genau. „Eine Mitarbeiterin von mir benötigte einen Kredit von 10.000 Euro. Ich begleitete sie, um sie zu unterstützen. Das Gespräch führte nicht wie erwartet der Filialleiter, der mich sonst beriet, sondern eine einfache Bankangestellte. Sie sagte, es ginge schließlich nur um eine kleine Summe.“ Die Frau fragt Wasserles Mitarbeiterin nach deren Geburtsdatum, ihrer Adresse, nach Einkünften. Nach jeder Eingabe in den Computer leuchtet eine kleine Lampe grün auf. „Ihre Staatsbürgerschaft?“, fragt sie schließlich. „Rumänisch“, lautet die Antwort. Die Lampe blinkt rot. „Ich fand das alles unheimlich entwürdigend für meine Mitarbeiterin“, sagt Wasserle. „Und da dachte ich mir: Dann mache ich das jetzt halt selber.“ Seitdem vergibt der Inhaber einer Reinigungsfirma im bayerischen Kaufering selbst Kredite an seine 260 Mitarbeiter. Die bekommen nicht nur einen Zinssatz, den keine Bank geben würde, sondern können ihren Kredit auch flexibel zurückzahlen. 40.000 Euro Mitarbeiterkredite hat Wasserle allein im vergangenen Jahr vergeben.

Unternehmer in der Reinigungsbranche zu werden, das war nicht immer Wasserles Plan. Als Jugendlicher machte der Bayer drei Jahre eine Ausbildung zum Landmaschinenmechaniker. Glücklich machte ihn die Arbeit nicht. „Ich hatte weder Freude noch Talent. Der Beruf lag mir einfach nicht“, sagt er rückblickend. Statt den Hof seiner Eltern zu übernehmen, fängt er mit 19 als Reinigungskraft in einer Münchener Firma an. Ihre Enttäuschung haben Wasserles Eltern lange verborgen. „Das stellte sich erst im Nachhinein raus“, erzählt Wasserle. Ihn habe es nie gestört, dass der Beruf nicht zu den anerkanntesten gehört, sagt er. Wasserle machte die berufliche Ausbildung zum Gebäudereiniger, danach den Meister. Mit 3.000 Euro Startkapital, einem Putzwagen und ein paar Wischmops gründete er schließlich seine eigene Firma. Da ist Wasserle 23. „Ich wollte die Dinge selbst gestalten und eine Firma, in der der Mensch im Mittelpunkt steht.“ Das sei bis heute sein Antrieb, erklärt der 37-Jährige. „Wir wollen Arbeitsplätze mit Bedingungen schaffen, wo die Menschen morgens gerne zur Arbeit gehen.“ Sätze wie diese klingen schnell nach Imagebroschüre und aufgesetztem Konzernsprech. Nicht bei Markus Wasserle. Er ist kein Schwätzer, er ist ein Überzeugungstäter. 26 Nationen sind in seiner Belegschaft vertreten, viele kommen aus Osteuropa. Deutsch kann am Anfang kaum einer. In Wasserles Betrieb bekommen sie deshalb kostenlosen Deutschunterricht. Auch Zuschüsse zu Fahrtkosten und dem Kindergarten zahlt der Chef. Daneben: jeden Morgen ein gesundes Frühstück, kostenlose Bankkonten, ein firmeneigenes Fitness- Studio, individuelle Weiterbildungsmöglichkeiten.
Etwas Gutes hat der Mangel an Fachkräften. Unternehmen, die nicht gut mit ihren Mitarbeitern umgehen, haben am Markt schlechte Karten.
Chef und Vermieter
2011, ein Mitarbeiter hatte ihn zu sich gebeten, steht Wasserle im Keller eines Arbeiterwohnheims in München. Auf zehn Quadratmetern sechs Doppelstockbetten. Überall trocknet Wäsche. 1.200 Euro verdienen die Mitarbeiter im Monat, 350 Euro kostet allein ihr Schlafplatz. Duschen und Toiletten befinden sich auf dem Gang. Es stinkt. „Ich war geschockt. Das war moderne Sklaverei“, sagt Wasserle. „Ich wollte nicht, dass auch nur einer meiner Mitarbeiter so leben muss.“ Der Besuch im Arbeiterwohnheim wird zum Schlüsselerlebnis. Wasserle sucht Wohnungen, um sie günstig an seine Mitarbeiter weiterzuvermieten. Heute vermietet er Wohnungen, Apartments und Zimmer in München und Landsberg am Lech. 300 Euro kostet ein Zimmer. Strom, Heizung, Wasser und Internet sind inklusive. 43 Menschen hat Wasserle so untergebracht. Im vergangenen Jahr hat er mehr als 140.000 Euro für die Wohnungen ausgegeben, aber nur etwas 125.000 eingenommen. Er zahlt drauf. Der Unternehmer sieht darin jedoch kein Verlustgeschäft, sondern eine lohnende Investition. „Ich will, dass die Leute gerne in der Firma bleiben und nicht etwa, weil sie keine Alternative haben.“

Die außergewöhnlich guten Arbeitsbedingungen in seinem Betrieb sprechen sich in der Gegend rum und ziehen Arbeitskräfte an. Außerdem helfen Wasserles Mitarbeiter ihm, wenn er Personal sucht, fragen Freunde und Bekannte. Dadurch spürt er den Fachkräftemangel selbst kaum, weiß jedoch, dass viele Unternehmen in Deutschland händeringend Personal suchen. „Fehlendes Personal kann für einen Unternehmer schnell existenzbedrohend sein“, sagt Wasserle. „Etwas Gutes hat der Mangel an Fachkräften. Unternehmen, die nicht gut mit ihren Mitarbeitern umgehen, haben am Markt schlechte Karten.“ So viel er auch für seine Mitarbeiter tue, so wichtig sei es ihm, dass sie ihr Leben eigenverantwortlich gestalten, betont Wasserle. „Unser Leitspruch lautet: ,Hilf mir, es selbst zu tun‘ “, sagt er. „Wir geben unseren Mitarbeitern lediglich die nötigen Mittel an die Hand.“ Immer wieder spricht Wasserle von ,wir‘. Der Chef schließt die Objektleiter, die Führungskräfte seiner Firma, in allem, was er sagt, mit ein. „Die Schulung des mittleren Managements ist eine meiner wichtigsten Aufgaben“, sagt er. „Es ist unheimlich wichtig, dass die Führungskräfte die Kultur unseres Unternehmens, seine DNA, schnell verinnerlichen und im Alltag nach ihr handeln.“
Eine Unternehmenskultur müsse echt sein und täglich gelebt werden. Von ihm als Chef und von den Objektleitern im Umgang mit den Reinigungskräften in ihrem Team, betont Wasserle. „Anspruch und Wirklichkeit müssen so nah wie möglich beieinander sein. Wenn wir merken, dass da noch irgendwo eine Lücke ist, dann muss sie für uns zum Ansporn werden, noch etwas mehr tun.“ Noch so ein ,Wir-Satz‘. Die Objektleiter sollen ihre Verantwortung spüren, aber keinen Druck. Das ist Wasserle wichtig. Vor Kurzem hat sich eine Objektleiterin bei ihm dafür stark gemacht, dass eine Frau, die erst wenige Wochen im Unternehmen war, einen Mitarbeiterkredit über 3.000 Euro bekommt. Wasserle hatte Zweifel. Deshalb bittet er die Objektleiterin, ein persönliches Gespräch mit der Reinigungskraft bei ihr zu Hause zu führen und sich ein Bild von deren Situation zu machen. „Nicht, weil ich befürchtete,das Geld verlieren zu können. Ich wollte bloß sicher sein, dass der Kredit der Mitarbeiterin wirklich hilft und es keine Probleme gibt, die mit Geld gar nicht oder nur sehr kurzfristig zu lösen sind. Dann hätten wir gemeinsam nach anderen Lösungen suchen müssen.“ Kurz nach dem Gespräch schreibt die Objektleiterin ihrem Chef eine Nachricht. Sie denkt, dass das Geld der Mitarbeiterin tatsächlich helfen würde. Wasserle überweist noch am selben Abend. „Ich musste gar nichts Näheres wissen. Ich habe der Einschätzung der Objektleiterin vertraut.“ Sollte sich im Nachhinein herausstellen, das die Führungskraft die Situation falsch bewertet hat, würde er ihr keinen Vorwurf machen, versichert der Chef. „Sie würde daraus dann ja auch etwas lernen können. So hätte ich eben in die Entwicklung einer Führungskraft investiert.“
Unser Leitspruch lautet: ,Hilf mir, es selbst zu tun‘.
Überzeugungen weitergeben
Nicht nur bei seinen Führungskräften schaut der Unternehmer genau hin, sondern auch bei seinen Kunden. „Ich erläutere ihnen unsere Unternehmenskultur und unsere Werte“, sagt Wasserle. „Und ich erwarte, dass sie mit meinen Mitarbeitern anständig umgehen und auf Augenhöhe sprechen. Das klappt bei den allermeisten gut.“ Andernfalls Konsequenzen zu ziehen, davor scheut er sich nicht. „Ich erinnere mich an einen Kunden, da wurde mit mir respektvoll und freundlich geredet, aber mit den Reinigungskräften schlecht umgegangen. Als ein Gespräch keine Wirkung zeigte, habe ich dem Kunden gekündigt“, erzählt der Unternehmer. „Das erfordert Disziplin und Haltung.“ Den Anspruch an seine Kunden, so Wasserle, mache das Unternehmen durch hohe Kundenorientierung wieder wett. „Ein neuer Kunde kriegt meine volle Aufmerksamkeit. Aber irgendwann müssen Routine und Stabilität reinkommen. Die Dinge müssen auch ohne mich laufen.“ 2007 entgleiten Wasserle die Dinge kurzzeitig. Seine Reinigungsfirma übernimmt bei einer großen Hotelkette die Küchenreinigung. „Damals hatte ich nur 50, 60 Mitarbeiter. Viel zu wenig.“ Wasserle muss selbst die Objektleitung übernehmen, kümmert sich kaum um etwas anderes. „Alles drehte sich nur noch um diesen Kunden“, erzählt er. „Ich hatte mich schlicht verhoben an diesem Auftrag. Ich war nah am Zusammenbruch.“ Ein Sonderkündigungsrecht ermöglicht ihm damals den Ausstieg aus dem Vertrag. „Ich war dankbar“, sagt Wasserle. Heute prüfe er genauer, welche Aufträge er annehmen kann und welche nicht. „Das war ein Lernprozess.“ Ehrgeizige unternehmerische Ziele hat Wasserle dennoch: Knapp 7 Millionen Euro will er 2018 umsetzen und im Jahr 2025 mindestens 500 Menschen Arbeit geben. Den Hof der Eltern führt heute Wasserles zwölf Jahre jüngerer Bruder. Markus Wasserle hat es nie bereut, genau das nicht getan zu haben. „Ich mache genau das, was ich will“, sagt er. Und seine Eltern sind ohnehin schon lange nicht mehr enttäuscht.
- Node
- Gesichter der jungen Wirtschaft: Markus Wasserle